… oder wie ich mich 2018 weit über ein halbes Jahr auf den New York City Marathon vorbereitet habe und es dann irgendwie nicht mein Tag war…

Jetzt ist es schon über zehn Tage her, dass ich mich um halb elf Ortszeit in den Strom der anderen Laufenthusiasten einreihte und langsam zum südlichen Ende der Verrazano-Narrows-Bridge geführt wurde. Der erste Blick auf den Startbogen der grünen Welle – ich fühlte mich gut vorbereitet, fit und auch ein bisschen aufgeregt.
Eigentlich war bis dahin fast alles so wie bei jeder größeren Laufveranstaltung, nichts Neues also! Um wie viel größer der Marathon in New York aber dennoch ist, sollte mir erst sehr viel später wirklich bewusst werden.
Dankenswerterweise ohne große Wartezeit wurden wir Läufer los gelassen – mit Kanonenschüssen! Fast wie zur Abschreckung ging es gleich auf dem ersten Kilometer zum höchsten Punkt der Strecke über die Brücke in Richtung Brooklyn. Mit ausreichend Endorphinen im Blut aber kein Problem und bis man zwischen den eigentlich ja ungefähr leistungsähnlichen Mitläufern seinen Platz und seine Pace gefunden hatte, waren auch schon fast 5 Kilometer geschafft.
Die Zeit und auch die Anstrengung vergingen am Anfang wie im Fluge!
Nach knapp 6 Kilometern bog die Strecke dann aus einem kleinen Wohngebiet rechts auf die Bay Ridge Avenue ein. An dieser Stelle wurden die Läufer aller drei Startwellen zusammengeführt. Von jetzt auf gleich eine unüberschaubare Menschenmenge, die sich auf allen sechs (!) Spuren der Straße in Richtung Norden bewegte. Ich hatte zwar am rechten Rand der Strecke ausreichend Platz zum Laufen, aber das Gefühl, von hinten geschoben zu werden und auch die Menschenmengen auf den Bürgersteigen, die die Läufer enthusiastisch anfeuerten, waren im ersten Moment überwältigend!
Leider merkte ich zu dem Zeitpunkt auch, dass ich eigentlich ein bisschen zu schnell unterwegs war. Ich versuchte dementsprechend, meine Pace zu senken, um nicht zu früh meine Körner zu verpulvern. Durch die lautstarke Anfeuerung der Zuschauer und die relative Enge auf der Strecke gelang mir das jedoch eher schlecht als recht!
So ließ ich mich weiter treiben und folgte einfach den auf und ab wogenden Köpfen auf der schnurgeraden Strecke bis Kilometer 13.
Zwischen Brooklyn und Queens wurde es etwas hügeliger, was mir aber aufgrund der ebenfalls nicht völlig flachen Trainingsläufe auf dem Maifeld rund um Polch zwischen Mayen und Münstermaifeld weniger schwer fiel als befürchtet. Ab etwa Kilometer 15 wurde es seitens der Zuschauer auch etwas (!) ruhiger und der Platz zum Laufen um mich herum immer angenehmer, weil sich die Masse der Läufer deutlich auseinander zog.
Wer die Übertragung des Marathons bei Eurosport gesehen hat, wird sicherlich bestätigen können, dass das Wetter für eine Marathonveranstaltung optimal war. Dummerweise hatte ich bereits um kurz vor sechs das Hotel verlassen, um zum Sammelpunkt der Bustransfers zum Startbereich zu marschieren. Daher war ich trotz der „Bad taste“-Klamotten, derer ich mich kurz vor dem Loslaufen entledigt hatte, um mindestens eine Schicht zu warm angezogen.
Kurz vor der Halbmarathon-Marke wurde das zum Problem. Es fing an, dass ich mich nicht mehr so richtig wohl fühlte in meiner Haut. Ich war immer noch ein wenig zu schnell und mir war ein bisschen zu warm, als mittags die Sonne am höchsten stand. Ich hatte daher einen zu hohen Puls, den ich auch durch den Versuch eine langsameren Laufgeschwindigkeit nicht effektiv herunter bekam. So musste ich bei Kilometer 19 erstmals ein paar Schritte gehen. Für mein Kopfkino mindestens 11 Kilometer zu früh…
Ich erinnerte mich aber an meine Ursprungsidee, dass der Marathon in New York ein Erlebnislauf sein und in erster Linie Spaß machen sollte. Daher entschied ich mich strukturiert einen Kilometer zu laufen und dann ein Stück zu gehen, wieder einen Kilometer zu laufen und so fort…
Mit dieser Strategie kam ich auch ganz gut weiter und wir näherten uns der Queensboro Bridge, der zweiten großen Brücke auf der Strecke, vor der uns erfahrenere NYC-Marathonis im Vorfeld gewarnt hatten.
Auf der Brücke selbst gab es keine Zuschauer und die Ruhe war fast schon erholsam.
Blödsinnigerweise bin ich nach meiner gerade erst zurechtgelegten Strategie die Brücke hoch gelaufen und runter gegangen. Es hätte mir auffallen müssen, dass die Laufkameraden um mich herum das genaue Gegenteil taten! Körner verschenkt, die nicht notwendig gewesen wären…
Am Fuß der Brücke ging es um zwei Linkskurven und die Strecke bog auf die 1st Avenue in Manhatten ein. Die Lautstärke der Zuschauer war – gerade nach der relativen Stille auf der Queensboro Bridge – wie eine Wand aus Musik und Anfeuerungsschreien. Überwältigend!
Aber leider auch schwierig, wenn man mehr und mehr versucht, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Ich entschied mich daher, mir die Kopfhörer in die Ohren zu stecken und mich mit meiner Lieblingsmusik abzulenken. Gleichzeitig hielt ich mich etwas vom Rand der Strecke fern, um mich nicht mit dem direkten Support des Publikums auseinandersetzen zu müssen. Ich brauchte einfach ein bisschen Zeit und Raum für mich.
Ich hatte schon einige Zeit früher nach Plan damit begonnen, meine Powergel Shots zu mir zunehmen und auch ausreichend zu trinken. Das lief wie trainiert eigentlich ganz gut. Allerdings waren mir die Shots trotz der Tests bei den Longruns in der Trainingsphase während des Marathons ein wenig zu süß und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass mir übel werden könnte. An den Verpflegungsstationen gab es neben Wasser auch Gatorade mit Orangengeschmack. Nach meinen schlechten Erfahrungen mit ungetesteten Getränken an der Strecke beim Halbmarathon in Palma de Mallorca letztes Jahr (Sechs Kilometer mit Brechreiz sind kein Spaß!) hatte ich aber Bedenken, das auszuprobieren, weil ich mir nicht wegen so was den Lauf versauen wollte.
Die 1st Avenue ist übrigens ein elendig schnurgerades Miststück von 6, gefühlt mindestens 16 Kilometern! Nicht die Wellen auf der Strecke waren das Problem, sondern die nicht enden wollende Straße in Richtung Bronx grub sich in meinen Kopf. Von mentaler Stärke konnte wirklich nicht mehr die Rede sein. Die Gehpassagen wurden immer länger – was aber mittlerweile auch egal war, da zwischen langsamem Vor-sich-hin-Schlurfen und Gehen kaum noch ein Geschwindigkeitsunterschied zu erkennen war.
Zu jenem Zeitpunkt hätte ich für eine eiskalte Cola töten können…
Da dies aber leider völlig unrealistisch war (Ich hätte dafür anhalten und mir eine kaufen müssen und ich weiß nicht, ob ich dann wieder angelaufen wäre…), rang ich mich dann doch schließlich durch und versuchte bei der nächsten Verpflegungsstation einen Becher Gatorade. Viel schlechter konnte es gefühlt ja nicht mehr werden! Erstaunlicherweise vertrug ich es ganz gut, auch wenn es geschmacklich zu wünschen übrig ließ.
Kurz vor dem Ende der 1st Avenue, bevor es über eine kleinere Brücke hinüber zu dem kurzen Abstecher in die Bronx ging, habe ich mein Smartphone aus dem Flugmodus geholt und #derBestenEhefrauVonAllen via WhatsApp mein Leid geklagt. Alles tat weh, es gab keine Cola, es waren noch mindestens 13 Kilometer und überhaupt… Mimimi!!!
Tollerweise kamen da aber auch alle Benachrichtigungen meiner Unterstützer-Crew aus der Heimat durch, was unheimlich motivierend war! Ihr glaubt gar nicht, wie sehr Ihr mich zu dem Zeitpunkt aus dem Tief geholfen habt. Vielen, vielen Dank dafür!!!!!
Okay, nach diesen Motivationsspritzen war es entschieden: DNF war keine Option und ich wollte auf jeden Fall ins Ziel kommen – notfalls halt im Rahmen eines Mega-Marsches New York City!
Ab da nutze ich jede Verpflegungsstation – abwechselnd mit Wasser und Gatorade! Kurz vor der letzten (!) Brücke nach Manhatten genehmigte ich mir sogar eine halbe Banane.
Ich nahm zwar die Kopfhörer nicht aus den Ohren, drehte jedoch die Lautstärke herunter, so dass ich wieder mehr von der Atmosphäre um mich herum wahr nahm. Da ich bei meiner Wanderung die anderen Läufer nicht behindern wollte, hielt ich mich auch wieder mehr an den Rand der Strecke. Die Zuschauer dort waren einfach der Hammer! Ich glaube, ich bin noch bei keiner Laufveranstaltung so häufig von völlig Fremden abgeklatscht worden wie auf den letzten zehn Kilometer durch die Bronx und Manhattan. Was für ein Support!
Die Stimmung stieg nun auch bei mir wieder und spätestens als wir den Nordrand des Central Parks erreichten, fing ich auch wieder an, ab und zu ein paar Laufschritte einzubauen. Das funktionierte so leidlich und der etwas welligere Parcours kurz vor Schluss tat das Seine. Aber irgendwann kam dann das „Noch 800m“ -Schild und ich sah ein Ende der Qualen. Nach dem letzten Hügel nahm ich meine Beine in die Hand, verfiel in einen an Lockerheit erinnernden Laufschritt und überlief nach knapp fünfeinhalb Stunden die Finish-Line.
Die Gefühlswelt dabei lässt sich nur schwer beschreiben: zum einen Stolz, sich an diesem eigentlich gebrauchten Tag durchgebissen zu haben, aber auch eine gewissen Leere im Kopf, weil ja nun beileibe kaum etwas so gelaufen war, wie ich es geplant hatte.
Auf jeden Fall tat alles weh und ich war froh, mein Hotel in fußläufiger Nähe des Zielbereiches gewählt zu haben. Gut aber auch, dass ich nicht der einzige Zombie war, der sich in Richtung Columbus Circle schleppte.
Eine Badewanne später habe ich noch was zu essen organisiert, auf das Bier verzichtet und eine schlaflose Nacht verbracht, weil der Jetlag nun doch zuschlug und ich aber auch irgendwie über den Punkt war.
Am nächsten Tag ging es dann schon von JFK zurück nach Frankfurt und der Trip nach New York war auch schon wieder zu Ende.
Mein Fazit:
Auch wenn nicht alles so geklappt hat, wie ich es mir im Vorhinein gewünscht hätte, war meine Teilnahme an der 2018er Ausgabe des New York Marathons ein Mega-Erlebnis!
Allein schon wegen der Supporter an der Strecke. Ich hatte vorher gelesen, dass das der Hammer sein sollte, aber es war so viel mehr als ich mir jemals hätte vorstellen können!
New Yorkers – you rock! Allein schon euretwegen ist das der größte Marathon der Welt!
Auch organisatorisch bei der Marathon-Expo, vorm und beim Bus-Transfer, bei den zahlreichen Security-Checks und im Startbereich war diese Veranstaltung herausragend. Immer war jemand zum fragen da, wenn überhaupt welche aufkamen. Die Freundlichkeit der ganzen freiwilligen Helfer – einfach toll!
Mittlerweile sehe ich es so, dass ich meinen drittschnellsten Marathon gelaufen bin und noch Potential habe.
Ich würde bei einem ähnlichen Vorhaben in Zukunft jedoch auf jeden Fall früher anreisen, um dem Körper ausreichend Zeit zur Akklimatisierung zu geben. Meine Idee, nur kurz reinzuhoppen, die Zeitverschiebung zu ignorieren und fast direkt zu laufen, hat sich nur so semi bewährt. Mehr körperliche Frische und Ausgeruhtheit hätten einige der Probleme auf der Strecke verhindern können.
(Okay, vielleicht hätte der ein oder andere lange Vorbereitungslauf mehr auch nicht geschadet…)
Und New York selbst ist der Hammer. Da muss ich unbedingt nochmal hin, aber auf jeden Fall nur mit #derBestenEhefrauVonAllen! Dass keine Zeit für Sightseeing war, war echt bekloppt!
New York – wir sehen uns auf jeden Fall wieder! Ob zum Laufen, das müssen wir noch sehen. Muss ja nicht unbedingt ein Marathon sein… 😉
Und wie geht es Läuferisch weiter? Keine Ahnung! Zurzeit ist mir noch nicht wieder richtig nach Sport und auf eine Laufplanung für 2019 habe ich auch noch keine Lust. Mal sehen – wahrscheinlich wird das ein Thema für einen der nächsten Blogposts…